In der Rheinpfalzausgabe vom 15. Dezember 2022 das nachfolgende Interview mit unserem HGF Jochen Heck zur aktuellen Situation im Handwerk erschienen:
„Es gibt zu wenige Fachkräfte“
Herr Heck, erst die Corona-Pandemie, dann noch der Ukraine-Krieg. Erst Materialknappheit, dann noch Inflation. Dazu kommen der Fachkräftemangel und teure Energie. Bäcker und Metzger schließen reihenweise, der Wohnungsbau bricht ein. Die Lage fürs Handwerk in der Region scheint nicht gerade rosig.
Sie haben recht, die Rahmenbedingungen sind insgesamt schwierig. Dabei war Corona für viele Betriebe noch gar nicht mal so einschneidend. Es gibt natürlich die Branchen wie die Kosmetik, das Frisörhandwerk und andere, die von den Lockdowns betroffen waren. Andere konnten jedoch weitgehend normal weiterarbeiten, dazu gab es ja auch noch die staatlichen Hilfen. Man kann sagen, dass das Handwerk Corona ganz gut bewältigt hat. Jetzt befinden wir uns aber in einer schwierigen Lage und es gibt Vorboten rauer Zeiten auch im Handwerk.
Inwiefern?
Das sind zum einen die Lieferengpässe. Sie bekommen einfach das Material nicht so, wie wir es lange Zeit auch im Handwerk gewohnt waren. Das ist ein flächendeckendes Phänomen. Die einen mag es härter treffen als die anderen, aber verschont wird keiner.
Ich erinnere mich, dass es auf einmal kein Bauholz mehr gab.
Weil unter anderem China den Markt leergekauft hatte. Dann fehlten Baustoffe generell. Das Kraftfahrzeuggewerbe wartet auf Neuwagen und Ersatzteile. Das Problem ist überall, dass die gewohnten Lieferketten gestört sind. Wir werden in Zukunft wohl wieder verstärkt beim produzierenden Gewerbe auf eigene Lagerhaltung setzen müssen und darauf, dass der Nachschub aus der Region kommt.
Woran hapert es noch?
An günstiger Energie, ganz einfach. Allein die Spritkosten sind noch immer derart gestiegen, dass es für Handwerksbetriebe nicht so ohne Weiteres möglich ist, die höheren Kosten eins zu eins an die Kunden weiterzugeben. Aber viele Branchen benötigen große Mengen Energie auch für die Produktion. Da muss man sich nur mal die Bäckereien anschauen, wie energieintensiv deren Herstellungsprozesse sind. Die können den Verkaufspreis, den sie zum Überleben brauchen, im Grunde nicht erlösen. Das will kein Kunde bezahlen.
Das heißt, die Betriebe müssen aufgeben?
Mitunter. Bei Bäckereien und Metzgereien ist es zurzeit besonders schlimm. Das sind nun mal Betriebe, bei denen der Energie-Einsatz einen hohen Anteil am Endprodukt ausmacht. Das metallverarbeitende Gewerbe leidet ebenfalls, aber da wirken sich die Energiekosten nicht so stark auf den Endpreis des Produktes aus. Aber auch hier kommen zwei weitere Preistreiber ins Spiel.
Und die wären?
Die Rohstoffpreise, die in vielen Bereichen enorm zugelegt haben, zum Beispiel für Getreide, auf das wiederum die Bäcker angewiesen sind. Und dann der Mindestlohn und die dadurch geänderte Beitragsbelastung für Arbeitgeber im Übergangsbereich beispielsweise.
Wo ist das Problem? Es heißt doch immer, dass bestimmte Tätigkeiten besser bezahlt werden müssen, damit sie überhaupt noch jemand übernehmen will.
Da gebe ich Ihnen vollkommen recht, und im Handwerk haben wir im Allgemeinen gute Löhne. Gute Bezahlung kann die Attraktivität einer Arbeit steigern. Nur: Wenn ich den Mindestlohn für die niedrigen Lohngruppen anhebe, dann muss ich das auch bei den höheren Lohngruppen machen, sonst geraten wir in eine Schieflage. Dann stimmt das Verhältnis nicht mehr. Aber dadurch erhöhen sich insgesamt natürlich die Lohnkosten deutlich.
Ich sehe das Problem noch immer nicht so ganz. Ist doch gut, wenn die Angestellten mehr Geld in der Tasche haben. Bei der hohen Inflationsrate brauchen sie das auch.
Die Löhne müssen Sie aber als Unternehmer am Markt auch erwirtschaften können. Nehmen wir einen Friseur-Salon. Da kostet dann ein bestimmter Haarschnitt soundsoviel Euro, weil er vielleicht eine halbe Stunde braucht. Jetzt kommen die gestiegenen Energie- und Arbeitskosten dazu – und zack, derselbe Haarschnitt kostet auf einmal 20 Prozent mehr. Das zahlt doch kein Kunde. Ich kann als Anbieter, als Handwerker die Preise nicht beliebig in die Höhe schrauben.
Das heißt, viele Betriebe müssen einen Teil der Kostensteigerungen durch Eigenkapital abfangen?
Genau, aber das können nicht alle. Es kommt allmählich zu einem Konzentrationsprozess in einigen Branchen, augenscheinlich wird es bei den Bäckern. Die Betriebe werden weniger und größer. Da spielt aber noch etwas anderes mit hinein.
Sie meinen den Fachkräftemangel?
Den auch. Doch erst mal fehlen überhaupt die Nachfolger, um Betriebe fortzuführen. Es gehört schon einiges dazu, sich angesichts der Rahmenbedingungen darauf einzulassen. Dabei gibt es viele Erfolgsgeschichten unter den regionalen Betrieben. Es braucht eben auch Ideen, wie man sein Geschäft innovativ aufstellt. Das kann funktionieren. Aber auch die beste Idee nutzt nichts, wenn man keinen hat, der sie umsetzt.
Wenn ich heute einen Handwerker brauche, kann ich lange warten.
Es gibt viel zu wenige Fachkräfte. Viele Firmen suchen händeringend nach Mitarbeitern. Jetzt fällt uns vor die Füße, was wir als Gesellschaft jahrzehntelang propagiert haben: dass das Studium mehr wert sei als eine Ausbildung. Früher hat ein Meister etwas gezählt, heute gibt es eine Menge Akademiker und zu wenige, die handwerklich tätig sind. Die Sichtweise, dass man im Handwerk im Vergleich wenig verdient, die ist völlig überholt. Bis zum 60. Lebensjahr verdienen Handwerksmeister im Schnitt mehr als Akademiker, davon bin ich überzeugt.
Handwerk hat immer noch goldenen Boden?
Ich könnte Ihnen jetzt eine Menge Handwerksbetriebe unserer Kreishandwerkerschaft aufzählen, von Speyer über Ludwigshafen bis Frankenthal, die das beweisen. Das Bauhauptgewerbe beispielsweise bezahlt seine Azubis schon immer sehr gut – aber es findet keine. Ich bin überzeugt: Viele Gewerke wie Elektro oder Sanitär werden weiterhin boomen, gerade mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien. Was sie daran hindern könnte, ist der Mangel an Arbeitskräften.
Und wie wäre das zu ändern?
Wir haben schon eine gute Durchlässigkeit im Bildungssystem. Was uns fehlt, ist ein positives Bild vom Handwerk. Wir müssen jungen Menschen klarmachen, dass in diesen Berufen viel Potenzial steckt. In der Kreishandwerkerschaft Vorderpfalz ist Konsens, dass unsere Mitgliedsbetriebe wieder verstärkt in die Schulen gehen wollen. Wir wollen zudem offener sein für Quereinsteiger, auch möchten wir mehr Frauen und Mädchen für diesen Weg begeistern. Viele trauen sich nicht, ins Handwerk zu gehen. Aber Handwerk ist längst nicht mehr nur männlich, nicht mal in den traditionellen Baugewerken. Da gibt es mittlerweile auch viele Chefinnen.
Zur Person
Jochen Heck, 49, ist Volljurist und seit 2018 Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Vorderpfalz in Ludwigshafen. Sie vertritt 16 Innungen verschiedener Gewerke.